Carnival
Atelier Max Beckmann
NEW YORK New Art Circle I. B. Neumann
[Unbekannter Ort], in privater Hand
DÜSSELDORF Galerie Vömel
MÜNCHEN Galerie Günther Franke (um 1938)
Hamburg, Klaus Hegewisch (1971 bis 1981)
LONDON Tate Gallery (seit 1981; Tate Modern)
Quellen
GÖPEL ERHARD / GÖPEL BARBARA 1976
Provenienzforschung in LONDON Tate Gallery
GROHMANN Korrespondenz
Zeitraum | Preis | Notiz |
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23. Okt 1930 - 30. Nov 1930 | 10.000,00 RM | Versicherungswert im Rahmen der Wanderausstellung BASEL Kunsthalle 1930, wie sie später in Dresden gezeigt wurde. Vgl. STA BASEL Beckmann 1930, Verzeichnis der Werk für Neue Kunst Fides, Dresden A. |
09. Jul 1920 | 25.000,00 Mk | Kaufvertrag zwischen Max Beckmann und J. B. Neumann, 9. Jul 1920, auf der Rückseite der Zeichnung »Frauenkopf, ein Geiger, zwei Bassisten«. Der auf den ersten Blick sehr hohe Preis kommt aufgrund der damals herrschenden Inflation zustande. |
Wörtlich zitiert nach Göpel Erhard / Göpel Barbara 1976, S. 147f.:
Dargestellt sind Fridel Battenberg und der Kunsthändler Israel Ber Neumann im Fastnachtskostüm, etwa als Pierrette und Harlekin. In dem Liegenden mit der Tiermaske ist die Gestalt von MB erkennbar (MQB bestätigt die Identifizierung). Die Figuren halten Narrenpritschen, ein altes Fastnachtsrequisit, in der Hand. Die dargestellten Instrumente, Tute, Fidel u.a., begleiten seit jeher den Auftritt der Harlekine und ihrer Nachfahren, der Clowns. Rechts das Battenberg-«Attribut», die Katze. Auf dem Tisch links eine Zigarrenkiste mit der Aufschrift HAV(anna); die Schrift auf der Flasche Mitte unten ist wohl zu (Cha)BLI(s) VIN zu ergänzen. Nach unveröffentlichten Aufzeichnungen von I. B. Neumann arbeitete MB sechs Monate an dem Bild.
Das vorliegende Gem. ist die erste Fastnacht-Darstellung im malerischen Werk von MB. Die in katholischen Gegenden volkstümlichen Fastnachtsfeste und Umzüge, im Rheinland und in Holland auch Karneval genannt, haben sich aus christlichem Brauchtum entwickelt und sind auf die Wochen vor der Fastenzeit beschränkt (im Gegensatz zu dem amerikanischen carnival, siehe Anderson S. 64, 65). In seiner Frankfurter Zeit, aber auch in späteren Jahren hat MB, unter einer Maske, Fastnacht- und Kostümfeste besucht.
Siehe Bemerkung zu Nr. 236 und die zahlreichen Fastnacht-Darstellungen bis 1950, sowie die Lithographie Gallwitz 146. Fridel Battenberg und I.B.Neumann waren Freunde Beckmanns. Sie haben sich nach mündlicher Mitteilung von F. B. nicht oder nur flüchtig gekannt. Beide dürften MB in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg den stärksten Rückhalt geboten haben.
Zu Fridel Battenberg siehe Nr. 205.
I.B.Neumann (1887—1961), mit einem Flair für Kunst und Menschen begabt, setzte sich passioniert und entschieden für Beckmann ein. Aus dem Buchhandel kommend, gründete er 1911 in Berlin das Graphische Kabinett, bezog 1915 die «1. Etage» des Hauses Kurfürstendamm 232 - im Rückgebäude veranstaltete die Berliner Secession ihre Ausstellungen, deren Geschäftsführer er zeitweise war - und eröffnete später Filialen in Bremen, Düsseldorf und München. 1911 nahm I.B.N. Graphik von MB in Verlag. Im November 1917 zeigte er die erste Ausstellung mit neuer Beckmann-Graphik. Spätestens ab 1920 gaben feste Abmachungen MB finanzielle Sicherheit. In seinen «Graphischen Kabinetten» handelte I.B.N. seither auch Gemälde. Siehe Abb. S.I/578.
Im Entstehungsjahr des Bildes, am 7. November 1920, schrieb MB an I. B. N.: « Die Einsamkeit in der wir Beide leben kommt wohl daher dass es so wenig ganze Menschen giebt. Die meisten sind nur Pygmäen. Das ist das Elend. Schön ist es, dass wir etwas von einander wissen. Das stärkt.» Die Briefe von MB an I.B.N. aus den Jahren 1920-1939 dokumentieren die freundschaftliche, wenn es um die vereinbarten Zahlungen ging, auch spannungsreiche Beziehung Beckmanns zu seinem Kunsthändler und geben Aufschluss über Person und Schaffensweise von MB in diesen Jahren. Die Briefe wurden 1962 bei Klipstein & Kornfeld in Bern versteigert und sind mit einigen Auslassungen abgedruckt im Auktionskatalog Klipstein 105, S. 38-46. Sie befinden sich in der Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt/M.
Unveröffentlichte Erinnerungen von I.B.N. (Sorrow and Champagne, Bibl. Nr. 97) beleuchten die Beziehung von der anderen Seite.
Überraschend, aus persönlichen Gründen, verliess I.B.N. 1923 Berlin, liess sich in New York nieder und eröffnete im Hause 35 West 57th Street eine Kunsthandlung (ab Jan. 1929 9 East 57th Str., später 509 Madison Avenue). Über grosse Schwierigkeiten hinweg hat I. B. N. in New York Verständnis für moderne deutsche Kunst zu wecken gesucht. Mit zäher Energie veranstaltete er Ausstellungen, hielt Vorträge, sorgte mit typographisch reizvollen Drucksachen für Publizität. I. B. Neumanns Bilderhefte/The Artlover spiegeln sein weitgespanntes Programm, von Negerkunst über mittelalterliche Holzschnitte bis zur Moderne. Sie wurden grosszügig bebildert und enthielten enthusiastische Texte und zugkräftige Mitteilungen des «Direktors» an die Leser.
Nach dem Weggang von I. B. N. sah sich MB von ihm «in eine schauderhafte und unsichere Situation gesetzt» (Brief an I.B.N. vom 9. Aug. 1924). Am 28. Juli 1925 schlossen MB und I.B.N. in Paris einen neuen Vertrag, der im Oktober 1930 auf weitere sieben Jahre verlängert wurde (letzterer im Wortlaut abgedruckt in Auktionskatalog Klipstein a. a. O.). Die Verbindung wurde durch den Krieg unterbrochen, der Vertrag nach 1945 nicht erneuert. In seinen Erinnerungen (a.a.O.) rechtfertigt I. B. N. den Abbruch seiner geschäftlichen Beziehung zu MB. Seine Einstellung zur Person und zum Werk Beckmanns blieb davon unberührt. In der gedruckten Ausgabe der Tagebücher von MB erscheinen nur knappe Eintragungen über Wiedersehen und Auseinandersetzung mit I. B. N. in New York (16.Nov. 1947, 30. Dez. 1948, 4. Jan. 1949).
Nach der Übersiedlung Neumanns nach New York wurde seine Berliner Galerie von Karl Nierendorf weitergeführt, der sich jedoch mit MB wenig befasste. Die Leitung des Graphischen Kabinetts I.B.Neumann in München, gegenüber der Pinakothek Barerstr. 46, übernahm sein Mitarbeiter Günther Franke, damals 23 Jahre alt. Die von Doris Schmidt herausgegebenen «Briefe an Günther Franke», die auch Erinnerungen von G.F. an MB enthalten, bezeugen, wie unbeirrt er über Hitler-Zeit und Krieg hinweg sich zu Beckmann bekannte und wie sehr MB die Treue und den persönlichen Einsatz Frankes geschätzt hat. 1974 übereignete G.F. den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 29 Gemälde Beckmanns aus seinem Besitz.
Der schriftliche Nachlass von I. B. N. befindet sich im Museum of Modern Art New York, in den Archives of American Art New York und im Besitz des Sohnes Prof. Peter G. Neumann in Chilmark, Mass. Hans Bolliger, Zürich, ein Freund I.B. Neumanns, hat den Nachlass gesichtet und bearbeitet.
Fünf Kompositionsstudien zu dem Gem. befinden sich in der Sammlung Piper, München; eine weitere in der Slg. EG. Eine Bleistiftzeichnung, Bildnis I.B.N., ist im Besitz von MQB. I.B.N. ist auch auf den Radierungen Gallwitz 125, 178 und 225 dargestellt. Zu der Maske r. u. auf dem Gem. vgl. die Lithographie Gallwitz 146.
Auf der Rückseite eines Skizzenblattes (ohne Zusammenhang mit dem Gem.) im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt befindet sich eine handschriftliche «Erklärung» von I.B.N. vom 9. Juli 1920, das Gemälde Fastnachtfür 25 000 M zu kaufen und bis zum 1. November 1920 zu bezahlen. Die Vereinbarung ist «Max Beckmann» unterschrieben und wohl als Scherz anzusehen (Beginn der inflationistischen Geldentwertung: 1922/23). In der Ausstellung Zürich 1925 war das Gem. für 8000 Fr. verkäuflich. Lt. Klebezettel auf der Rückseite war das Bild im Kunstverein Dresden (ohne Jahresangabe) ausgestellt.
Vgl. die farbige Arbeit auf Papier in BECKMANN MAYEN / GOHR / HOLLEIN 2006, Nr. 17.
Vgl. die Zeichnungen in WIESE 1978, Nr. 433, 434, 435, 436, 437, 438, 439 und 440.
Vgl. die Kaltnadelradierung in HOFMAIER 1990, Nr. 231.
Vgl. die Skizze in ZEILLER 2010, 19. Skizzenbuch Nr. 12r und 22. Skizzenbuch Nr. 2r.