Tagebücher
In seinen Tagebüchern erwähnt Max Beckmann das Gemälde am 29. September, 10. / 14. / 19. / 20. / 21. Oktober, 14. / 19. / 20. / 24. November, 2. / 5. / 12. / 20. / 22. Dezember 1944 und 27. März 1945 (siehe auch 26. Dezember 1944).
Lütjens Family Portrait
Atelier Max Beckmann
Amsterdam, Helmuth Lütjens (1944 bis 1986)
Amsterdam, Annemarie Lütjens (1986 bis 2009; Vermächtnis)
ROTTERDAM Museum Boijmans Van Beuningen (seit 2009; Kauf)
Quellen
GÖPEL ERHARD / GÖPEL BARBARA 1976
Provenienzforschung in ROTTERDAM Museum Boijmans Van Beuningen
Zeitraum | Preis | Notiz |
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01. Jan 1944 - 31. Dez 1944 | 1.500,00 NLG | Gemäß MBA MB Nachlässe - MB Bilderliste I bis III, Bilderliste II, »Einnahmen seit Amsterdam 1937. 1944: Familienpor[trait] Lütjens 1500 [Gulden]«. |
Wörtlich zitiert nach Göpel Erhard / Göpel Barbara 1976, S. 410:
Dr. phil. Helmuth Lütjens (* 1893), Kunsthändler in Amsterdam, seine Frau Nelly geb. van den Boom (* 1911) und seine älteste Tochter Annemarie, in der Familie Rietje, von MB Rikchen genannt (* 1943). Im Vordergrund rechts die Rückseite einer Bildleinwand. Der Hampelmann, den das Kind hält, ist erfunden.
Lütjens war ein Freund Beckmanns, einer der wenigen, die MB während des Krieges in Holland entscheidend geholfen haben. Er entstammt einer Hamburger Familie. Nach Abschluss seines Kunstgeschichtsstudiums mit einer Arbeit über den Rembrandt-Kreis volontierte er zwei Jahre am Berliner Kupferstichkabinett. Direktor der Sammlung war zu der Zeit Max J.Friedländer. 1923 trat L. in die Kunsthandlung von Paul Cassirer in der Viktoriastrasse in Berlin ein. Im Herbst des gleichen Jahres übernahm er die Amsterdamer Zweigfirma des Hauses, die N.V. Amsterdamsche Kunsthandel Paul Cassirer & Co., die L. seither leitet.
Im Februar 1943 bestand die Gefahr, dass die Bilder Beckmanns von den deutschen Besatzungsbehörden beschlagnahmt würden. Lütjens, der die holländische Staatsangehörigkeit hat, erklärte sich auf Bitten von EG bereit, einen grossen Teil des Atelierbestandes in seinem Haus, Keizersgracht 109, zu verwahren. Auch in der Folgezeit entstehende Gemälde wurden sicherheitshalber bei L. untergebracht (von L. «abgenommen», wie MB im Tagebuch formuliert). Aus dieser Verbindung mit MB und seinem Werk wuchs eine Freundschaft, die zur Entstehung des Familienbildes führte.
Lütjens: «In den Septembertagen 1944 war Arnhem [Schlacht bei Arnheim], und während der Kämpfe dort kamen Beckmanns mit Butchy eine Woche zu uns, weil Beckmann fürchtete, im Falle der Befreiung in seiner Wohnung ev. belästigt zu werden. In dieser Woche, wo er uns in unserem Hause sah, die Räume und das Familienleben teilte, muss ihm der Gedanke zu dem Familienporträt gekommen sein; meines Wissens hat er mich kurz nach seiner Rückkehr in seine Wohnung gefragt, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er uns male.» «Ich überliess es ihm vollkommen und erst, als er mich rief, um das Bild fertig bei ihm anzusehen, fragte ich ihn, ob ich es erwerben könne.» «Anfang September, als Beckmanns bei uns waren, machten wir noch Gebrauch vom Wohnzimmer. Kurz darauf wurde es kälter, und da es unmöglich war, für die Centralheizung Kohlen zu bekommen, waren wir als Wohnraum angewiesen auf die Küche, in der ein kleines Öfchen stand, auf dem wir auch kochten; es war unsere einzige Wärmequelle. Gas gab es nicht, Elektrizität ebensowenig, als Beleuchtung waren wir auf Kerzen angewiesen. Dies damalige Milieu liegt merkwürdig stark in dem Bild, eine gewisse Kahlheit und Strenge und doch ein Anklang an Behaglichkeit, das flackernde Licht, das Leben auf das Einfachste reduziert. Es ist ja erstaunlich, mit welcher Zartheit, Subtilität und Bestimmtheit jeder von uns angepackt ist und aus welcher Tiefe ergriffen.» (Aus Briefen vom 8. Jan. 1958 und 11.Sept. 1963.)
Im Winter 1944/45, in einer Zeit der Unsicherheit und Bedrohung, verbrachte MB allwöchentlich einen Vormittag bei L. Einige Bilder wurden jeweils aus dem Versteck geholt und im «Saal» des schmalen Grachtenhauses, einem zum Garten gelegenen Raum mit klarem Nordlicht, aufgestellt. Das Gespräch mit L. vor den Bildern war zeitweise die einzige Resonanz, die MB fand. Beim Einmarsch der alliierten Truppen, Anfang Mai 1945, nahm Lütjens MB und MQB noch einmal in sein Haus auf. Zahlreiche Tagebucheintragungen Beckmanns bezeugen, in wie hohem Masse Bestätigung, Zuspruch und das Eingreifen von L. in praktischen Dingen MB Rückhalt boten. In der Eintragung vom 10. März 1945 erscheint Lütjens als «Ritter L.». Zu vertraglichen Abmachungen zwischen MB und der Firma Paul Cassirer, die MB in seinen frühen Jahren in Berlin vertreten hatte, ist es nicht gekommen, da L. an eine gegenteilige Entscheidung seiner Geschäftspartner gebunden war. L. hat jedoch zahlreiche in Holland entstandene Bilder von MB erworben, darunter Hauptwerke wie «Messingstadt» und «Abtransport der Sphinxe» (Nr.668, 702). Die Erstellung des Werkverzeichnisses hat L. von Anbeginn engagiert und grosszügig gefördert. Über L. siehe auch Göpel 1955 S. 21 und Katalog Ausstellung Karlsruhe 1963.
Zu Nelly L. stand MB in einer vertrauensvollen Beziehung. Er schätzte ihre Lebensklugheit und ihre Menschlichkeit. Nach Abschluss des Familienbildes porträtierte er sie mit ihrer Tochter (Nr. 692).
Die Dargestellten haben einzeln zu Zeichnungen Modell gesessen, die bei den Besuchen Beckmanns im Hause L. entstanden (alle unveröffentlicht): 8 Studien Helmuth L. (6 in seinem Besitz; 1 bei C. O. Baer, New Rochelle, N. Y.; 1 bei Walter Feilchenfeldt, Zürich); 5 Studien Nelly L. und 9 Studien zu Rietje (im Besitz von L.). Einige Blätter tragen Datierungen vom 10. und 17. November 1944. Siehe auch die bei Nr. 692 aufgeführten Zeichnungen. Fotobildnisse von Helmuth und Nelly L., 1970 aufgenommen, siehe Abb. S.I/587.
Auf dem Transport von Hamburg nach Frankfurt 1965 wurde das Familienbild durch Nässe beschädigt. Es wurde 1966 im Doerner-Institut München restauriert.
Vgl. die Lithographie in HOFMAIER 1990 Nr. 362.